VON RETROSPEKTIVEN UND LIEBESERKLÄRUNGEN

Im Ernst, wer hätte das vor zehn Jahren noch gedacht? Turnschuhe auf den Runways der großen Designer und lässige Sneaker-Outfits auf allen globalen Fashionweeks. Selbst Sporty Spice hätte das nicht voraussagen können. Wir sehen ein Potpourri japanischer Streetstyle-Anleihen, französischer Unangestrengtheit gepaart mit Eleganz, New Yorker Multikulti-Looks – oder aber: die heutige Modewelt ist mittlerweile so weit, dass szenebezogene Trends nur noch selten sind und jeder sich das herauspickt, was gefällt. Immer mit einschränkendem Blick auf das Umfeld. Seltsam erschreckend und dennoch erfreulich zugleich.
Denn für mich bedeutet es, dass der Individualitätsdrang des Einzelnen weitaus größer geworden ist, weshalb in allen Lebensbereichen nach dem heißesten Shit gesucht wird. Das bedingt jedoch zugleich das Einschmelzen in einen großen Tiegel, der die Masse mehr und mehr zu einem Einheitsbrei vermengt. Irgendwann wird jede Szene, jeder noch so undergroundlastige Trend verwurstet sein – was dann?
Ist es nicht fürchterlich ermüdend, sich immer neu erfinden zu müssen, um nicht übersehen zu werden? Und trotzdem nicht allzu sehr aus der Reihe tanzen zu dürfen?
So wird selbst „Normcore“ zum Zwang.

Vielleicht sollte man genau an diesem Punkt ansetzen und sich täglich aufs Neue dabei erwischen, für wen den Zirkus eigentlich ist. Dann kommt man vielleicht auf den Trichter, dass die ganze Geschichte viel zu viel mit Außenwirkung und viel zu wenig mit sich selbst zu tun hat.
Angefangen mit oberflächlichen Szenen, in denen man in Bussi-Manier herumturnt und endend bei dem Riegel, den man sich vorschiebt, weil man z.B. ja jetzt in dem Alter sei, in dem man endlich seinen Stil gefunden haben muss. Quatsch mit Soße! Dennoch: leichter gesagt als getan.
Ich kann sagen, dass es ein langer Prozess ist, um die imaginären Stimmen anderer abzustellen, die ein Outfit schon im Vornherein vor dem heimischen Spiegel bewerten. ,,Total overdressed! No-Go! So last season! Zu langweilig! Zu rockig!“

Deshalb die Liebeserklärung an das gute alte Bauchgefühl und den eigenen Geschmack. Denn nur die zwei schaffen es, dass wir uns in unserer Haut wohlfühlen. Dass wir wirklich tragen, was uns gefällt und nicht das, wofür wir temporäre Anerkennung und oberflächliche Komplimente erhaschen können. Nur so wird die Welt wieder ein Goldtopf voller Inspiration – mit Einheitsbrei und Einschränkungen kommen wir alle nicht weit!

CAP // H&M
TURTLENECK / LEGGINGS // ZARA
CARDIGAN // KONTATTO
BAG // VINTAGE
SHOES // TALLY WEIJL